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Vertrieben aus Hietzing

Otto Fleming

Otto Fleming wuchs in der Wattmanngasse. Seine Eltern wurden in Ausschwitz ermordet. Er selbst floh nach Palästina.

Ich wurde am 25. August 1914 in Wien geboren, gerade als die Zeitungsbuben schrien: „Lemberg noch in unserem Besitz“. Das war eine große Überraschung, da niemand wusste, dass die Russen schon Lemberg erreicht hatten.

Mein Vater wurde in Dürrmaul, einem Dorf in der Nähe von Marienbad geboren, wo seine Familie zumindest seit dem 17. Jahrhundert ansässig war. Mein Vater war sehr intelligent, musste aber die Schule verlassen, als er 14 Jahre alt war.

Er war einer von 8 Kindern und mein Großvater konnte es sich nicht leisten, ihn studieren zu lassen. Mein Vater war auch ein sehr guter Sänger; als der Abt des Stiftes Tepel davon erfuhr, wollte er ihn ausbilden lassen, aber mein Großvater stimmte nicht zu, da er, wahrscheinlich mit Recht, vermutete, dass der Abt den jungen Burschen taufen wollte. So ging mein Vater in Gelsenkirchen in die Lehre und arbeitete in Deutschland bis zu seiner Heirat in Wien. Mein Vater war ein besonderer Mensch. Er opferte sich für seine Familie auf, war sehr bescheiden, vollkommen ehrlich und besaß einen gesunden Menschenverstand. Sein Rat war von Vielen geschätzt. Er war sehr wohltätig; er trug einen durchgewetzten Überzieher, aber war zugleich sehr freigiebig zu Wohltätigkeitsorganisationen, als auch zu Leuten in Schwierigkeiten und Bettlern. Oftmals brachte er einen armen Mann, den er im Tempel getroffen hatte, nach Hause und ließ ihn unser Mittagessen teilen.

Meine Mutter war eine gebürtige Wienerin; ihre Eltern stammten auch aus Böhmen. Soviel ich weiß, wurde sie von Nonnen unterrichtet; sie sprach auch etwas französisch. Leider war sie kränklich; ihr Zustand verschlimmerte sich allmählich und in den 30er Jahren konnte sie nicht mehr ausgehen. Wegen ihrer Unpässlichkeit hatte ich eine Reihe von Kindermädeln und Kinderfräulein.

Übersiedlung

Nach ihrer Hochzeit wohnten meine Eltern in der Dommayergasse, aber übersiedelten kurz nach meiner Geburt in die Wattmanngasse 7/11, wo ich aufwuchs. Das Haus, 1913 gebaut, hat eine imposante Fassade, enthält aber nur 2 und 3-Zimmerwohnungen. Auf der Fassade ist das Relief eines Lammes zur Erinnerung an das Gasthaus „Zum Lamm“, das ehemals an diesem Platz stand! Wir hatten eine 3-Zimmerwohnung im ersten Stock. Das Speisezimmer und das Schlafzimmer meiner Eltern ging auf die Strasse, mein Zimmer auf den Lichthof. Wir hatten auch ein Dienstbotenzimmer, dessen Fenster sich auf den Stiegengang öffnete – heutzutage würde niemand wagen einer Hausgehilfin ein solches Zimmer anzubieten. Im Sommer, wenn alle Fenster offen waren, konnte man oft das Geschrei vom Bezirksgericht in der Trautmannsdorfgasse hören. Zu Beginn hatten wir nur Gaslicht; Elektrizität kam erst in den 20er Jahren, das Telefon viel später. Man kochte auf einem Herd, aber später hatten wir einen Rechaud. Im Badezimmer gab es kein heißes Wasser mit Ausnahme des Gasbadeofens, der das Wasser für das Zinkbad erwärmte. Ich fand unsere Wohnung sehr bequem, obwohl wir im Winter Fensterpölster und Lambrequins brauchten um das Zimmer genug warm zu halten. Im Klosett benützte man natürlich nur geschnittenes Zeitungspapier.

Überraschenderweise enthielt unser Haus zwei Geschäftlokale, die Einzigen in der Wattmanngasse. Eines war ein Zuckerlgeschäft, wo ich, sehr selten, saure Zuckerln kaufte. Das andere Lokal wurde von einem Tapezierer benützt. Wenn er im Lichthof Rosshaar von Matratzen oder Polstern rupfte, stieg der Staub wie eine Wolke bis zu meinem Fenster auf. Die Gasse war sehr ruhig und praktisch ohne Verkehr; das war aber zu Fronleichnam ganz anders. Zeitig in der Früh marschierte die Feuerwehrkapelle durch und spielten ein Ständchen an ein oder zwei Plätzen, aber immer vor unserem Haus. Einige Stunden später kam die Fronleichnamsprozession, die wir immer von unseren Fenstern betrachteten..

Meine Grosseltern mütterlicherseits wohnten in der Wattmanngasse 15. Meine Großmutter litt an Asthma und hatte einen Kropf. Ihr Zimmer war immer von Rauch gefüllt: Sie häufte ein Pulver auf einen Teller und zündete es an. Das Schwelen des Pulvers erzeugte den Rauch, der ihr das Atmen erleichtern sollte. Sie starb verhältnismäßig jung. Mein Großvater wurde in seinen Altersjahren von einem Mann, der von der fahrenden Straßenbahn absprang, niedergestoßen und erlitt einen Schenkelhalsbruch, zufolge dessen er bis zu seinem Lebensende mit zwei Stöcken gehen oder im Rollstuhl fahren musste. Ich besuchte meine Grosseltern oft und in späteren Jahren erwarb ich meine „Aufklärung“ vom Meyers Konversationslexikon, das ich unter ihren Büchern fand.

Mein Vater übernahm das En-Gros Knopfgeschäft seines Schwiegervaters, das unter den Namen E. Goldmann in der Kaiserstraße 5 geführt wurde. Die Spezialität war Perlmutknöpfe. Die Drechsler, die diese Knöpfe erzeugten, arbeiteten in ihren Wohnungen. Oftmals streckte mein Vater ihnen Geld vor, so dass sie die Muscheln kaufen konnte, von denen man Knöpfe machte. Dann kaufte mein Vater ihnen die Knöpfe ab und verkaufte sie z.B. an Hemdfabrikanten. Er verlor oftmals Geld, weil viele seiner Kunden insolvent wurden. Mein Vater kam mir den Drechslern sehr gut aus und sprach Wienerisch mit ihnen. Einmal nahm er mich mit, als er einen Drechsler besuchte, um mir zu zeigen, wie die Knöpfe erzeugt wurden. Manchmal half auch meine Mutter, Knöpfe auf die Musterkarten aufzunähen. Ich fand eine alte Oliver Schreibmaschine im Geschäft, an der ich mich maschinenschreiben lehrte. Ich sah unlängst ein Exemplar dieser Maschine in einem Museum!

Erinnerungen

Meine früheste Kindheitserinnerung (vielleicht 1917) ist meinen Vater in Uniform zu sehen. Er diente in der K.u.K. Artillerie und kam auf Urlaub nach Hause. Die nächste Erinnerung betrifft einen historischen Augenblick von 1918. Mein Kinderfräulein führte mich nach Schönbrunn spazieren; wir wohnten ja ganz nahe. Als wir im Blumenparterre standen, erschien Kaiser Karl mit seinem Gefolge auf dem Balkon des Schlosses, um einen letzten Blick auf den Park und die Gloriette zu werfen, während das Auto im Hof wartete, ihn ins Exil zu führen. Viele Jahre später sah ich seinen Katafalk in einer Kirche in Madeira, wo ich auf Urlaub war. Ich erinnere mich auch an die schlimme Nachkriegszeit, als zufolge der Blockade Lebensmittel, aber auch andere Waren sehr knapp waren. Fleisch war schwer zu finden und es gab Gerüchte, dass Verbrecher Kinder fängen und ihr Fleisch am schwarzen Markt verkaufen. Darum wurde mir verboten, das Haus allein zu verlassen. Damals gab es z.B. Brot, das Sägespäne enthielt; Kaffee war mit Eicheln gestreckt und wir hatten Kunsthonig, den ich dem Naturhonig, den wir endlich wieder bekamen, bevorzugte. Ich erinnere mich auch an Spagat, der aus gewickeltem Papier bestand. (Das ist der Ursprung des Schreiens der Hausierer: „Kein Papier, kein Stroh sondern nur garantiert echte Ware!“) Wenn ein Schuhbandl gerissen war, nähte meine Mutter es kunstvoll zusammen. Sie war eine gute Näherin. Sie konnte auch einen Fleck einsetzen, wenn ich meinen Hosenboden durchgewetzt hatte. 

Man sah viele ehemalige Soldaten, die ein Bein oder einen Arm verloren hatten. Es gab viel Armut und viele Menschen mussten betteln gehen. Auch in späteren Jahren legte mein Vater jeden Freitag eine Reihe von Münzen auf den Ladentisch in seinem Geschäft. Während des ganzen Tages sah man eine Prozession von Bettlern, die schweigend in das Geschäft kamen, sich eine Münze nahmen und schweigend hinaus gingen und wahrscheinlich das selbe im nächsten Geschäft wiederholten. Sie gingen von Geschäft zu Geschäft – eine Art unoffizieller Wohlfahrtsorganisation.

Volksschule in Hietzing

Ich besuchte die Volksschule Hietzing am Platz. Dort begann eine lebenslange Freundschaft mit Fritz Prohaska, was ich später erwähnen werde. Der Unterricht in der Volksschule war gut aber altmodisch. Wir lernten mit Schiefertafeln und Griffeln zu schreiben; erst viel später durften wir Hefte benutzen. Jeder hatte seine eigene Schiefertafel, an dessen Holzrahmen ein kleiner Schwamm (zum Abwischen) mit einer Schnur angebunden war. Jedes Jahr zur Osterzeit erzählte der Katechet den katholischen Buben, dass die Juden den Christus ermordet hätten. Das hatte immer die Folge, dass sie versuchten ihre jüdischen Mitschüler zu verhauen, aber diese Animosität dauerte nie lang. 

Die jüdischen Kinder von unserer Schule und von anderen Volksschulen in Hietzing wurden an einem Nachmittag (ich glaube es war Donnerstag) in einer Schule in Penzing zusammen gebracht, um dort ihren Religionsunterricht zu erhalten. Meine Mutter gab mit immer ein Gabelfrühstück mit. Als ich es zu essen begann, bemerkte ich, dass einige meiner Mitschüler mich beneideten. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass sie so arm waren, dass sie ohne Frühstück in die Schule kamen. Dann gab ich ihnen gewöhnlich mein Gabelfrühstück; natürlich hat meine Mutter das nie erfahren. Einmal machten wir einen Schulausflug auf die Hohe Wand. Das regte in mir eine Liebe zum Bergsteigen, die ich nie verloren habe. 

In meiner Freizeit las ich viel; erst Karl May, dann Fenny Cooper, „Der letzte der Mohikaner“, Little Ford Fountleroy und viele andere Bücher. Ich erinnere mich auch, dass ich oftmals mit einem Schulkameraden, der auch in der Wattmanngasse wohnte, mich mit Bleigießen beschäftigte. Wir benützten alte Zahnpastatuben (die damals aus Blei bestanden) und schmolzen sie in alten Schuhpastadeckeln auf einer Gasflamme und gossen sie ins Wasser. 

In späteren Jahren ging ich oft auf den Küniglberg. Die Wattmanngasse führt ja am Schokoladehaus und der Schrattvilla vorbei, auf den Berg. Der war damals noch ganz unverbaut, mit Getreidefeldern auf beiden Seiten des Weges. Nur eine kleine Kapelle stand am Lainzer Ende. Manchmal konnte man einen Hasen sehen (canicula = Hase, daher Küniglberg). Das Beste war aber die wunderschöne Aussicht: Von Hetzendorf zum Lainzer Tiergarten, zum Wienerwald, Kahlenberg und Leopoldsberg. Steinhof war klar sichtbar und man konnte sogar den Stephansdom ausnehmen. In 1934 war ich mit einem Freund oben und wir sahen den Rauch des beschossenen Karl-Marx-Hofes.

Erforschung der Gegenden

Ich liebte immer das Spazierengehen. Alt-Hietzing war mir sehr vertraut. Ich betrachtete die Schaufenster mit großem Interesse, wie in einem Museum. Es gab eine Konditorei in der Maxingstraße, in dessen Fenster ich immer einen Baumkuchen bewunderte. Ich ging auch oft nach Schönbrunn. Später, als ich ein Fahrrad besaß, erweiterte ich meine Exkursionen und erforschte exotische Gegenden, wie Hütteldorf und Hernals. 

Ich erinnere mich an unser erstes Radio; es war ein Kristallgerät; man musste mit einer dünnen Drahtspirale einen Kontakt mit dem Kristall suchen, um etwas zu hören. Nur sehr wenige Leute besaßen einen Lautsprecher. Ich benützte einen langen Draht, der meine Kopfhörer mit dem Apparat verband, so dass ich in meinem Zimmer herumgehen und zugleich das Radio hören konnte. Die Ankunft des Telefons war eine Sensation. Der Apparat war an der Wand im Vorzimmer angebracht. Wir hatten ein „Gesellschafttelefon“, d.h. wir teilten es mit einer anderen Familie. Wenn sie es benützten, war eine weiße Scheibe sichtbar; das hieß, dass das Telefon besetzt war. 

In der Küche wurde auf einem Herd gekocht. Erst später hatten wir einen Gasrechaud. Es gab auch einen kleinen Eiskasten. Alle zwei Wochen kam der Eismann mit seinem Pferdewagen, in der er lange Eisblöcke transportierte. Er brach ein Stück ab und trug es auf seiner Schulter, auf die er einen Sack legte, in unsere Wohnung. Eine Wäscherin kam einmal im Monat. Die Wäsche wurde in der Waschküche, die im Keller war, gewaschen und dann auf den Dachboden getragen, wo sie zum Trocknen aufgehängt wurde. Zum Bügeln wurde ein Stageleisen verwendet.

Fromme Eltern

Meine Eltern waren fromm, aber unser Haushalt war nicht ganz koscher, weil wir nicht alle Speisegesetze einhielten. Mein Vater schloss sein Geschäft an Samstagen und jüdischen Feiertagen. Wir fasteten natürlich am Jom Kippur und ich ging an den jüdischen Feiertagen nicht in die Schule. Wenn mein Vater einen Laib Brot anschnitt, sagte er immer einen Segensspruch; wenn Mitzi, unsere katholische Köchin, den Laib anschnitt, kratzte sie immer ein Kreuz an die Unterseite. 

Ursprünglich gab es in Hietzing keinen Tempel und mein Vater ging in den Tempel in der Turnergasse oder Schmalzhofgasse, wo ich auch meine Barmitzwah feierte. Die Hietzinger Juden mieteten für die hohen Feiertage einen Saal im Gasthof „Weisser Engel“ am Hietzinger Platz, um dort ihren Gottesdienst abzuhalten. Allmählich und mit großen Schwierigkeiten, konnten sie genug Geld sammeln, um den Bau des Tempels in der Eitelbergergasse zu beginnen. Er wurde 1929 eingeweiht. Der Gottesdienst im neuen Tempel war sehr schön; bei den hohen Feiertagen hatten wir einen Männerchor, der, so viel ich weiß, aus Studenten der Musikakademie bestand. Damals trugen viele Herren, auch mein Vater, einen Zylinder zu den hohen Feiertagen. 

Am Vorabend des Überschreitungsfestes feierten wir den „Seder“. Das ist ein Gottesdienst im Hause, an dem die Geschichte des Auszugs aus Ägypten erzählt wird. Dann folgt eine formelle Mahlzeit. Während des Festes, das eine Woche dauert; in dieser Zeit isst man kein Brot, sondern nur Matzes. Wir genossen die speziellen Gerichte, die man zu dieser Zeit isst. Mein Großvater kam immer zu uns, um den Seder zu leiten. Nach seinem Tod übernahm mein Vater diese Rolle

Humanistisches Gymnasium

Nach der Volksschule trat ich ins humanistische Gymnasium in der Fichtnergasse ein. Ich war dort sehr glücklich, obwohl ich nur ein Durchschnittsschüler war. Zufälligerweise waren in meiner Klasse von 34 Schülern 7 Juden, während in den anderen Klassen nur ein oder zwei jüdische Schüler waren, oder gar keine. Die Lehrer waren sehr gut, mit zwei Ausnahmen: Der Physik & Chemie Professor, den wir BHZ, das heißt Boshafter Zwerg, nannten. Er war nicht nur boshaft, sondern auch unfähig und hätte niemals angestellt werden sollen. Der andere war unser Religionslehrer, der auch unfähig war. In allen 8 Jahren im Gymnasium fühlte ich nie Antisemitismus. Kurz vor unserer Matura nahm mich der Primus zur Seite. Er sagte, dass wir immer gut ausgekommen wären. Allerdings sei er jetzt in die nationalsozialistische Partei eingetreten. Er hätte gar nichts gegen mich persönlich, aber ich sollte verstehen, dass er von jetzt an nicht mehr mit mir sprechen kann. Ich glaube das war sehr anständig. Ich sah ihn in 1980 wieder, als er an Perkinsonismus litt. Er tat mir sehr leid.

In meiner Freizeit las ich sehr viel. Ich war besonders von dem englischen Philosophen Hobbes beeindruckt. Die meisten Sonntage verbrachte ich mit Freunden im Wienerwald zu wandern. Wenn immer es mir möglich war, ging ich ins Burgtheater, natürlich nur ins Stehparterre, wo das Publikum meistens aus Studenten und Offizieren bestand. Ich wurde ein Mitglied der sozialistischen Mittelschüler und hatte die Aufgabe, Referenten für unsere Zusammenkünfte zu finden. Ich benützte einmal eine Postkarte, um jemanden einzuladen. Nach einigen Wochen kam sie zurück, voll antisemitischer und obszöner Bemerkungen.

Freundschaft mit Fam. Prohaska

Mein wichtigster Einfluss war aber meine Freundschaft mit der Familie Prohaska. Ich ging mit Fritz Prohaska in die Volksschule und wir wurden dicke Freunde. Diese Freundschaft verstärkte sich noch, als wir beiden ins Gymnasium gingen. Ich verbrachte einen guten Teil meiner Freizeit in seinem Haus, Maxingstraße 18. Das Haus gehörte ursprünglich Johann Strauss, der dort die Fledermaus komponierte. Fritzs Grossvater, der Maler Julius Schmid, kaufte es ihm ab, um dort seine Familie unterzubringen. Ich kannte den würdigen, weissbärtigen Herrn, der immer mit einem Spazierstock ging. Julius Schmid, Professor an der Akademie der Bildenden Künste, heiratete eine seiner Studentinnen, ein jüdisches Mädchen namens Schlesinger, deren Tochter Margarete, überall als Putzi bekannt, die Mutter meines Freundes war. Putzi studierte Kunstgeschichte und heiratete den Komponisten und Professor der Musikakademie Carl Prohaska. Gedenktafeln an dem Haus ehren Johann Strauss, sowohl als Julius Schmid und Professor Prohaska. Die große Wohnung, die den ganzen 1. Stock einnahm, war für mich ein Zauberland. Da waren die Rokoko Möbel, die wunderbaren Bilder, Gemälde, Stiche, die große Bibliothek mit ihren Kunstbüchern und Partituren, der herrliche Kristallluster, aber vor allem die zwei Flügel neben anderen Musikinstrumenten. Das Zimmer diente als Hintergrund für Julius Schmids bekanntem Gemälde: Schubert in einem Wiener Bürgerhaus. 

Die Familie und die Wohnung waren sowohl künstlerisch als auch unkonventionell. In diesem Rahmen konnte jeder seine eigenen Talente ausüben. Fritz spielte Klavier und Cello, sein älterer Bruder Felix, der spätere Dirigent, spielte Klavier und Bratsche. Der jüngste Bruder, Carl, wurde Flötist in der Staatsoper. Einmal fragten mich Fritz und Felix, ob sie mir etwas vorspielen sollen. Wir einigten uns auf Beethovens 5. Symphonie, die sie mir dann auf zwei Klavieren vorspielten. Es war für mich ein unvergessliches Erlebnis. Das Haupt dieser Künstlerfamilie war Putzi, die, obwohl sie bescheiden und ruhig war, mit innerer Kraft den Haushalt leitete. Sie „adoptierte“ mich und andere Freunde. Ich verdanke einen großen Teil meiner Bildung dieser Familie. 

Die klassische Erziehung im Gymnasium regte in mir ein großes Interesse an Italien an, das ich mehrmals in den Ferien besuchte, was mir meine genügsame Lebensart ermöglichte. Diese Sparsamkeit und sorgfältiges Planen machte es uns – 2 jüdischen und 4 katholischen Schulkameraden – möglich, eine Balkanreise zu unternehmen, wo wir ein Zusammentreffen in Athen mit unserem Griechischprofessor organisierten. Meine Jugend war mehr oder weniger sorgenfrei, mit Ausnahme vereinzelter Vorfälle. Z.B. als ich 15 oder 16 Jahre alt war, wanderte ich mit einigen Freunden in der Nähe von Judenburg. Einige Arbeiter von den Stahlwerken bemerkten, dass in unserer Gruppe einige Juden waren. Sie begannen uns zu beschimpfen, warfen Steine auf uns und fingen an uns zu hauen. Wir mussten so schnell als möglich weglaufen. Die Situation verschlechterte sich sehr, als die Nazi Partei in Deutschland mehr Einfluss gewann.

Studium

Nach meiner Matura entschloss ich mich Medizin zu studieren, obwohl ich wusste, dass jüdische Studenten großen Schwierigkeiten ausgesetzt waren. Die antisemitischen Studenten, die die größte Mehrzahl darstellten, griffen die jüdischen Studenten an, verprügelten sie und warfen sie über die Rampe. Ähnliche Unruhen standen auch in anderen Gebäuden, wie z.B. im Anatomischen Institut. Es war so arg, dass ein Student erschlagen wurde. Nichtsdestoweniger erlaubte der Rektor der Polizei nicht, Universitätsgebäude zu betreten. Nur als Bundeskanzler Dollfuss solchen Demonstrationen ausgesetzt war, zwang er den Rektor die Polizei zuzulassen. 

Ich begann mein Medizinstudium 1933, in dem ersten Studienjahr, in dem die Polizisten in den Universitätsgebäuden Unruhen vereitelten. Im anatomischen Institut gab es zwei Kanzeln. Die eine war unter der Leitung von Prof. Pernkopf, der ein großer Nazi war und nach dem „Anschluss“ Rektor der Universität wurde; alle Nazi Studenten studierten bei ihm. Die übrigen Studenten, einschließlich der Juden, studierten bei Prof. Julius Tandler (der aber zu meiner Zeit abwesend war und von Prof. Schmeidel vertreten wurde). Auf dem Stiegengang zwischen den Türen, die in die entsprechenden Abteilungen führten, standen immer 2 Polizisten, um Angriffe der Nazistudenten zu verhindern. Der Zoologieprofessor war auch ein Nazi, der manchmal antisemitische Bemerkungen machte; die Nazi Studenten reagierten mit tösendem Trampeln. 

Im ersten Studienjahr nutzte ich die Gelegenheit, auch zu nichtmedizinischen Vorträgen, z.B. Alfred Adler, zu gehen. Ich war sowohl mit nicht-jüdischen, als auch mit jüdischen Studenten befreundet. In diesen Jahren erlebte ich mehrmals Zwischenfälle. Wenn eine Gruppe von Nazis mich verhöhnte oder beschimpfte. Das geschah nur, wenn sie in der Mehrheit waren. Nur einmal wurde ich von einer Frau beschimpft, die allein war, während ich mit einem Freund ging. Das war so ungewöhnlich, dass ich mich noch heute daran erinnere. Zu dieser Zeit war es üblich, wenn einige Nazis auf dem Gehsteig nebeneinander gingen und einem Juden begegneten, sie ihn nicht vorbei gegen ließen, sondern ihn in die Gosse stießen. 

Ich erinnere mich an die Diskussion, als wir uns fragten, ob wir Österreicher des mosaischen Glaubens oder Juden, die in Österreich leben, waren. Wir kamen zu dem Entschluss, dass wir Österreicher waren, bis man uns das Gegenteil bewies. Im März 1938 war ich im letzten Semester meines Studiums und ich begann mich auf die Endprüfungen vorzubereiten. Der „Anschluss“ brachte mein Studium zu Ende. Kein Medizinstudent in meinem Jahr wurde zu den Endprüfungen zugelassen. 5 Jahre Studium wurden wertlos. Die ganze Einstellung hatte sich geändert: Ich war mit einem nicht-jüdischen Studenten sehr befreundet und besuchte ihn auch in seiner Wohnung. Nach dem 12.März kannte er mich nicht mehr! In den folgenden Wochen und Monaten wurden Juden oftmals auf der Strasse angegriffen oder sogar ins Konzentrationslager geschleppt. Deshalb verließ ich das Haus nur wenn es dringend war.

Es war ganz klar, dass ich meine Heimat verlassen musste. Es war sehr schwer, eine Einreisebewilligung für irgendein Land zu bekommen und bei allen Konsulaten standen lange Schlangen. Manchmal marschierten Gruppen von SA-Leuten vorbei und schleppten einen der Wartenden weg. Es gelang mir, ein Visum für Palästina zu bekommen und ich verließ Österreich im Juli 1938. Ich kam in Palästina völlig mittellos an und musste am Anfang von Wohlfahrtsorganisationen unterstützt werden. Trotzdem verlor ich in den ersten 6 Monaten 18 kg. Ich fand nur gelegentliche Arbeit – Medizinstudent ist ja kein Beruf. Nach einiger Zeit konnte ich als Masseur mein Brot verdienen. 

1942 meldete ich mich zum britischen Militär und diente mehr als 4 Jahre, davon 2 Jahre auf einem Lazarettschiff. Nach dem Krieg beendete ich mein Medizinstudium in London (ich musste wieder in der Mitte anfangen). Nach einer Reihe von Spitalsposten, arbeitete ich als praktischer Arzt in Yorkshire und lebe jetzt im Ruhestand in Sheffield. In Wien hatten wir eine Köchin, Mitzi Müller. Wir boten ihr an, mit uns zu essen, aber sie zog vor, allein zu essen. Zur Zeit des „Anschluss“ war sie 15 Jahre bei uns. Ich verließ Wien im Juli 1938 und das folgende habe ich erst von Mitzi und Freunden erfahren. 

Die Nazis verbaten unverheirateten arischen Frauen unter demselben Dach als jüdische Männer zu wohnen; so musste Mitzi ausziehen. Da aber meine Mutter kränklich war, kam Mitzi immer wieder zu meinen Eltern, um meiner Mutter zu helfen, sogar wenn sie ihr nicht mehr zahlen konnten. Wir hatten auch eine Bedienerin, die sich nach dem 13. März nicht mehr zeigte! Nach meiner Ausreise zog eine Freundin meiner Eltern, eine Frau Sommer, in unsere Wohnung ein und wohnte in meinem ehemaligen Zimmer. Nach einiger Zeit beanspruchte ein Nazi unsere Wohnung und meine Eltern wurden aus der Wohnung, in der sie 23 Jahre gelebt hatten, herausgeschmissen und mit einigen anderen jüdischen Familien in einem Haus in der Kupelwiesergasse 56 untergebracht, aber nach kurzer Zeit in eine große Wohnung in der Servitengasse übersiedelt, wo jedes Zimmer von einer jüdischen Familie besetzt war. 

Mitzi kam immer noch, um meiner Mutter zu helfen. Als der Befehl kam, sich zur Umsiedlung nach Theresienstadt zu melden, warnte Mitzi, die inzwischen geheiratet hatte und jetzt Maria Saidler hieß, nicht nach Theresienstadt zu gehen und bot ihnen an, sie in ihrer Wohnung zu verbergen. Da meine Mutter kränklich war, glaubten meine Eltern, dass das nicht möglich wäre und lehnten ihr Angebot ab. So wurden meine Eltern im Oktober 1942 nach Theresienstadt transportiert und im Oktober 1944 von dort nach Auschwitz verschleppt und im Oktober 1944 ermordet. Mein Vater war 63 Jahre alt, meine Mutter 62. 

Nachdem meine Eltern Mitzi´s Angebot nicht annahmen, bot sie dasselbe Frau Sommer an und versteckte sie in ihrer Wohnung bis zum Ende des Krieges. Als die Russen Wien bombardierten, lief Frau Sommer nach Hietzing zu unserer Wohnung, sagte: „Da habe ich gewohnt“ und schmiss den Nazi hinaus (das war nicht so einfach) und wohnte dann dort mit ihrer Tochter, die aus dem Ausland zurückkehrte. 1981 wurde Mitzi (Maria Saidler) vom Yad Vashem in Jerusalem geehrt, weil sie unter Lebensgefahr ein jüdisches Leben rettete. Ich flog mit meiner Tochter zu dieser Zeremonie in Jerusalem, wo ein Baum im Hain der Gerechten gepflanzt wurde.

Hochzeit mit einer Ex-Wienerin

1949 heiratete ich eine Ex-Wienerin (aus der Margarethenstraße), die mit einem Kindertransport nach England kam. Wir haben 2 Söhne und eine Tochter und 6 Enkelkinder. Ich kehrte 1959 zum ersten Mal nach Österreich zurück. Wir besuchten Putzi Prohaska in ihrem Haus in Henndorf am Wallersee. Dann fuhren wir nach Wien, wo wir im Prohaskahaus wohnten. Meine Eltern ließen verschiedene Haushaltsartikel bei Putzi, in der Hoffnung, nach ihrer Rückkehr aus Theresienstadt, wieder einen Haushalt zu haben. Ich fühlte mich in Wien unbehaglich, wann immer ich einem Mann meines Alters begegnete. Ich dachte immer: Ist das der Mann, der meine Eltern ermordete? Ich traf aber auch alte Schulfreunde, die mich herzlich begrüßten. 

In den 80er Jahren verbrachte ich mit meiner Frau einen Urlaub in Seefeld. Als wir an einem älteren Mann vorbei gingen, hörten wir ihn murmeln: „Da gibt es schon wieder zu viele Fremde; da sollte man etwas vergasen und spritzen“. Danach entschlossen wir uns, nie wieder einen Urlaub in Österreich zu verbringen. 1993 nahmen wir unsere Kinder nach Wien, um ihnen zu zeigen, wo wir wohnten und studierten. Ich konnte ihnen sogar meine alte Wohnung in der Wattmanngasse zeigen, da Frau Sommers Tochter, Resi, noch dort wohnte. Wir besuchten auch Mitzi, die im folgenden Jahr, 94 Jahre alt, starb.

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Vertrieben aus Hietzing

Ernest Weiss

Ernest Weiss berichtet von bekannten Familien, dem Geschäft seiner Eltern und seiner Zeit in der amerikanischen Armee.

Mein Freundeskreis in Hietzing war mehr in der engen Nachbarschaft hauptsächlich begrenzt. Innerhalb von Ober und Unter St. Veit und ich kann nur von einigen wenigen Familien berichten mit denen ich näher befreundet war.

Familie Fried

Die Familie Leopold Fried hat im eigenen Haus auf der Hietzinger Hauptstraße 108 im zweiten Stock gewohnt und hat die folgenden Mitglieder gehabt: Vater und Mutter: Leopold und Grete, Kinder: Walter und Alice. Die Familie ist im Hahre 1923 vom Neubau nach Hietzing gezogen und kaufte zu gleicher Zeit das Haus. Leopold Fried hat ein Drogerie Artikel Grosshandel betrieben und sein Geschäft war in der Neubaugasse. Frau Grete Fried hat ungefähr im Jahr 1930 ein Geflügelgeschäft im selben Wohnhaus in einem Kellerlokal in Partnerschaft mit ihrer Schwägerin eröffnet. Herr und Frau Fried sind im Herbst 1938 nach New York ausgewandert, haben sich dort etabliert und sind in den 1960er Jahren dort gestorben.

Ihr Sohn: Walter Fried hat die Realschule in der Astgasse im Jahre 1923 begonnen und im Jahre 1932 dort maturiert. Er besuchte die Handelsakademie für ein Jahr , bekam ein Angestelter in der Firma seines Vaters und ein Jahr später in einer Papierfabrik. Im Juni 1938 ist er nach New York ausgewandered und hat dort einen Posten in einer Papierfabrik gefunden. Im Februar 1939 heiratete er Gladys Kraus die von Ober St.Veit im Jahre 1938 nach England und im Jänner 1939 nach New York ausgewandert ist. Walter war in der US Armee von 1943 bis 1945 und kämpfte in Europa. Er wurde später ein Manager in einer Büromöbel Fabrik die von New York in eine kleine Stadt im Staate Pennsylvanie übersiedelte.

Er ist dort im Jahre 1978 in Pension getreten, übersiedelt in 1981 nach Kalifornien und ist dort im Jahre 1993 gestorben. Seine Frau, Gladys, starb im Jahre 1991. Sie hatten zwei Söhne: Gerald, der nach vier Jahren Studium die Universität absolvierte und dann als Ingeneur arbeitete, später seine eigene Firma gründete und jetzt mit Frau in Kalifornia lebt. Sie haben zwei Kinder und zwei Enkel. Stanley: ist ein Chirurg in einem Kalifornia Spital, ist verheiratet und hat acht Kinder. Leopolds Tochter: Alice hat acht Jahre Schule beendet und ist dann Schneiderin geworden. Sie ist im August 1938 nach New York ausgewandered und hat dort im Jahre 1942 geheiratet (Fabrikant Simon Erber). Sie haben vier Söhne, eine Anzahl Enkel und Grossenkel und wohnen derzeit in New York.

Leopold Frieds Bruder Adolf und seine Frau Jolan haben im Eckhaus Bossigasse 30 im zweiten Stock eine Wohnung gehabt. Er war in Partnerschaft mit seinem Bruder Leopold im Grosshandel. Das Ehepaar sind im Herbst 1938 nach New York ausgewandered und dort gestorben. Sie hatten zwei Söhne: Egon und Hans. Beide hatten 8 Jahre Schule absolviert und sind im Juni 1938 nach New York ausgewandert. Beide etablierten ihre eigenen Geschäfte, heirateten und beide hatten jeh zwei Kinder und zwei Enkel. Sie sind schon beide gestorben und nur die Witwe von Egon lebt in Florida.

Familie Weiss

Professor Heinrich und seine Frau Grete haben in der Mezzanin Wohnung mit ihren fünf Kindern im Haus 108 Hietzinger Hauptstraße gewohnt. Er war ein Kunstlehrer und Mahler. Deren Kinder: Ilse hat geheiratet und ist mit ihrem Gatten im Jahr 1938 nach England und dann nach dem Krieg nach USA ausgewandert. Sie haben sich in Boston niedergelassen wo auch eine zweite Tochter geboren wurde. Frau Ilse lebt noch, ihr Gatte ist verstorben. Erika hatte im alter von 10 Jahre eine schwere Krankheit durchgemacht wobei sie geistig behindert wurde.

Sie musste in die Steinhof Anstalt untergebracht werden und wurde eventual bei den Nazis umgebracht. Walter hat im Jahr 1919 die Volkschule in der Feldmühlgasse begonnen, in 1932 in der Götherealschule maturiert und hat seine Studien als Möbeldesigner fortgesetzt. Er fand einen Posten in einer Möbelfabrik. Er heiratete im August 1938 und kurz nachher wanderte nach der USA aus und lebte bis zu seinem Tod in Boston. Er und seine Frau Lisl hatten drei Töchter und eine Anzahl Enkel.

Hans maturierte im Jahr 1935 fuhr nach Australien im Juni 1938 and übersiedelte im Jahre 1948 nach New York wo er heiratete und ein Vertreter von feinen Stoffen wurde. Er starb ungefähr 1980 und hatte zwei Kinder. Beide Brüder, Walter und Hans waren im der Hockey Nationalmannschaft aber weigerten sich in 1936 an den Olympischen Spielen in Berlin teilzunehmen. Ich glaube deshalb blieb die ganze Mannschaft in Wien.

Trude beendete die Bürgerschule, wurde Schneiderin, verließ Wien im August 1938 und heiratet in Boston Hans Ehrlich. Sie lebt dort noch, ist verwitwet, hat einen Sohn, Enkel und Grossenkel.

Im selben Haus wie die Frieds und Weisz lebten, wohnten auch die Familien Wiener und Drechsler und noch andere, aber ich hatte wenig Verbindung mit beiden und weiss nicht deren Schicksal.

In dem Wohnhaus Bossigasse 25 hat die Familie Hayek gewohnt. Sie hatten drei Söhne. Der Operndirigent und Direktor Franz Schalk und der Österreichische Vertreter der Parker Füllfedern, Herr Kohn, hatten Villen und der „Freie Presse“ Journalist Fehl lebte in einem Wohnhaus in der Meytensgasse, zwischen Mantlergasse und Preindlgasse. Dr. Pick hatte seine Wohnung und Ordination in dem Eckhaus, Spohrstraße und Hietzinger Hauptstraße gehabt. Ungefähr Hietzinger Hauptstraße 120 wohnte die Familie Zipper die ein Autoreifengeschäft in der Inneren Stadt führte. Da waren einige erwachsene Kinder und einer der Söhne hat Musik studiert und war ein Orchester Dirigent. Es wohnten noch ein paar andere Jüdische Familien in der Hietzinger Hauptstraße an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann und über dessen Schicksal mir nichts bekannt ist.

Meine Familie

Mein Grossvater Kommerzialrat Philipp Weiss ist von dem Ungarischen Dörfchen Yasfalu ungefähr 1860 nach Wien übersiedelt. Er wurde Drechsler und hat 1879 sein eigenes Unternehmen gegründet das sich späte in ein Export/Import Geschäft entwickelt hat, mit Kundern in fast allen Europäischen Ländern und New York. Drei seiner Söhne wurden Partners und haben das Geschäft dann nachdem er in 1915 in den Ruhestand trat,selbst geführt. Mein Vater David war einer der Gesellschafter. Meine Eltern: Theodor David und Ida (geb. König) Weiss.

Mein Vater, in Wien 1871 geboren war das zweite von sieben Kindern, hat während kurzer Dienstleistung in der Österreichischen Armee im Winter 1914 ein Fußleiden entwickelt, das nach Jahren als Multiple Klerose diagnostiziert wurde. Im Jahre 1915 ist die Familie vom Neubau nach Hietzing in die Mezzaninwohnung Bossigasse 19 übersiedelt. Mein Vater starb im Jänner 1940, und kurz danach wurde meine Mutter mit nur wenig Habseligkeiten von der Wohnung, die ein Nazi Parteigenosse übernommen hat, vertrieben. Ida Weiss starb in einem der Vernichtungslager im Jahre 1942. Während 1938 bis in 1940, bevor meine Mutter in die Leopoldstadt vertrieben wurde, waren die Nachbarn und Geschäftsleute wo meine Mutter seit Jahren einkaufte immer weiter mitfühlend und eine unserer früheren Dienstboten, die einen Fleischhauer geheiratet hat, kam nach März 1938 mehrere Male mit Esspakete um meinen Eltern auszuhelfen.

Meine Schwester Lilly (geb. 1905) war Modistin und führte ihren eigenen Salon in der Dorotheagasse bis sie im Jahre 1934 Dipl.Ing. Otto Knötig heiratete. Sie war vor der Hochzeit zum Protestantismus übergetreten und verbrachte die ganzen Kriegsjahre in Wien wo sie zur Zwangsarbeit eingezogen wurde. Ihr Gatte ist ihr während dieser Jahre treu zur Seite gestanden und sie konnte deshalb diese schwere Zeit überleben. Mein Schwager wurde gezwungen sich scheiden zu lassen und wenn er mit meiner Schwester vor dem Richter erschien, fragte er meinen Schwager und meine Schwester ob sie sich noch lieben, das beide bejahten, worauf der Richter sagte ich sehe keinen Grund Euch zu trennen. Der Richter war ein älterer Herr der sofort wusste warum die beiden vor ihm standen und was die Folgen so eine Scheidung für das Schicksal meiner Schwester sein würden. Das Ehepaar und dann meine Schwester allein nach dem Tod meines Schwagers, hat in der MeidlingerHauptstraße von 1934 bis 1992 gewohnt. Sie hatten keine Kinder. Sie starb im Rosenhügelheim in 1996.

Ich, Ernest Rafael, bin am 22. Jänner 1913 in unserer damaligen Wohnung in der Neubaugasse geboren. Ich besuchte die Volkschule in der Feldmühlgasse von 1919 bis 1923 und dann die Mittelschule in Traiskirchen (früher Offiziers Schule) bis 1926. Ich war der einzige Jüdische Schüler von 400 und die antisemitische Atmosphäre die dort vorherrschte machte es sehr schwierig für mich und ich übersiedelte in die Deutsche Mittelschule in der Astgasse, wo ich 1932 maturierte. Wir waren nur eine Klasse mit 18 Schülern und sehr dick befreundet. Eigentlich war nur ein Mitschüler in Sympathie mit den Nazis aber hat den Antisemitmus nicht gegen seine drei jüdischen Kollegen gezeigt. Sogar nach dem „Anschluss“ haben mehrere meiner Mitschüler mich angerufen, um zu erfahren wie es mir und den anderen Jüdischen Kollegen ging. Während meines Besuches in 1974 haben die 11 überlebenden Kameraden, (Mitschüler Walter Fried war nicht dabei) sich getroffen und während meines 2002 Besuches habe ich mich mit den zwei dann verbliebenen(einer ist im Oktober gestorben) wieder getroffen.

Nach der Matura wurde ich dann Beamter in der Familienfirma, Siebensterngasse 46, wo ich später als Geschäftsreisender in der Tschechoslovakei und Jugoslavien von 1936 bis 1939 tätig war. Ich kehrte von einem Geschäftsbesuch in der Tschechoslovakei am 10. März 1938 nach Wien zurück um mich an der Wahl zu beteiligen, konnte aber nicht mehr nach dem „Anschluss“ meine unterbrochene Reise fortsetzen.

„Anschluss“

Kurz nach dem „Anschluss“ erschien ein hohes Mitglied der SS in unserem Büro und hat sich als der zugeteilte Firmen Kommissar vorgestellt. Er gab die Zusicherung, dass unter seiner Protektion die Firma unbelästigt weiter arbeiten kann und sich bemühen soll, so viel als möglich fremde Valuten für dass Reich zu produzieren. Jeden Freitag holte sich der Kommissar eine bedeutende Summe Geldes ab, andererseits hat er sich nicht in die Geschäftsführung eingemischt. Meine Versuche meine Verkaufsfahrt in die Tschechoslovakai fortzusetzen wurden abgelehnt. Meiner Braut war es möglich nach Brünn zu flüchten und es gelang mir endlich im Dezember die Ausfahrt zu erlangen. Wir hatten ein Affidavit für die USA und erwarteten das Visum im Februar 1939 zu bekommen. Ich hatte den Plan meine Geschäftsreise im Jänner zu beginnen und an dessen Ende meine Resignation von der Firma einzureichen. Dann in Brünn zu bleiben wo wir, vor der Abreise in die USA, heiraten wollten.

Die Monate vom „Anschluss“ an in Hietzing waren, im Vergleich was in der Brittenau und Leopoldstadt zuging, verhältnismäßig ruhig. Jeder der die Möglichkeit hatte war mit der Auswanderung beschäftigt. Man hörte nichts von irgendwelchen Ausschweifungen.

Zeitlich früh nach der Kristallnacht, von dessen Terror in anderen Stadtteilen wir unbewusst waren, erschienen zwei Männer in unserer Wohnung und wollten nach Waffen suchen. Ich erkannte den älteren Herren der in der Umgegung wohnte aber wusste nicht wer der Jüngere war. Wie sie dabei waren ins Schlafzimmer meiner Eltern zu gehen, sagte meine Mutter dass mein Vater noch ruht und sich nicht wohl fühlt. Der Jüngere bestannt darauf, worauf der ältere Mann ihm sagte es wäre nicht nötig und auch entschuldigte sich zu meiner Mutter bezüglich der zeitlichen Störung. Der Jüngere hat die Wohnung zuerst verlassen und der ältere Mann zögerte zwischen der Tür, dann wendete er sich zu mir und flüsterte „Verduftens den ganzen Tag!“. Ich wusste natürlich nicht was er meinte und bin ins Rathaus gefahren weil ich dort gewisse Papiere abzuholen hatte, die meine Ausreise ermöglich sollten.

Auf der Fahrt durch die Stadt sah ich unseren Tempel in der Eitelberger Gasse brennen, eine jüdische Parfümerie auf der Hietzinger Hauptstraße und mehrere Geschäfte in der Mariahilferstraße zerstört.

Im Rathaus war keine Störung, alles ging routinemäßig vor. Jedoch wie ich nach nach einiger Zeit ich endlich meine Papiere bekam und dabei war den Amtsraum im ersten Stock zu verlassen, sah ich unten beim Ausgang eine Gruppe Hitlerjugend jemanden verprügeln. Da war kein anderer Ausweg für mich, als durch diese Türe ins Freie zu gelangen und lief die Treppen rasch hinunter und meine Aktentasche vor mein Gesicht haltend, versuchte ich durch die Gruppe durchzubrechen. In gewisser Weise gelang es mir, aber ich spürte zwei Reitpeitschen auf mein Genick landen. Ich bin in den Park gerast und habe mich unter einen der grossen Büsche gleiten lassen. Ich fühlte das Blut von meinem Hals laufen aber ich konnte feststellen, nachdem ich nicht verfolgt wurde, meine augenblickliche Freiheit gesichert zu haben. Da ist es mir plötzlich klar geworden warum der Mann mir den Rat gab zu „verduften„!

Ich verblieb in meinem Versteck für eine Weile und wenn niemand in der Nähe war bin ich herausgekrochen, habe den Staub von meinem Mantel abgeschüttelt, ging zur Strassenbahn und mit der Linie 38 bis zur Endstation gefahren. Ich dachte in dieser Gegend würden wenig Juden wohnen und niemand wird dort auf deren Jagd sein. Ich fand ein Telefon und rufte zu Hause an und erfuhr, daß die SA mich dort gesucht hatte. Dasselbe hörte ich wenn ich mit meinem Onkel im Büro sprach. Ich wanderte dort für mehrere Stunden herum bis es dunkel wurde und dann telefonierte meine Schwester denn ich wollte bei ihr übernachten. Ich erreichte ihr Haus kurz nach neun Uhr abends, nachdem schon das Haustor abgeschlossen war. Am nächsten Tag wartete ich wieder bis nach neun Uhr abends, bevor ich zu meiner Wohnung zurückkehrte.

Nachdem die meisten jüdischen Freunde in der Nachbarschaft schon ausgewandert waren, blieb es verhältnismäßig ruhig und keine weiteren Arreste folgten.

Im Jänner 1939 verließ ich endlich Wien und begann meine Geschäftsreise in der Tschechoslowakei. Anfang März schickte ich meinen Musterkoffer und eine volle Spesenabrechnung zur Firma und unterrichtete den Kommissar von meiner Absicht von Brünn nach Amerika auszuwandern. Vor meiner Abreise hat er mir nämlich gedroht, falls ich Firmeneigentum behalten sollte, meine Eltern im KZ landen würden. Zehn Tage später wurde die Tschechoslovakai besetzt und ich fürchtete unsere Situation in Brünn würde sehr prekär sein. Jedoch, dank meiner Sprachkenntnisse die ich während meiner Reisen angelernt hatte, konnte ich mich mit den Beamten in der tschechischen Redeweise besprechen und erhielt einen unbegrenzte Aufhaltsbewilligung. Wir heirateten am 28. März und konnten endlich Ende des Jahres nach Amerika auswandern.

Im Jahre 1943 wurde ich zur Dienstleistung in der amerikanischen Marine gerufen, wo ich meist die Zeit in der Kampfzone des Pazifischen Meer verbrachte und in 1946 entlassen wurde. Während dieser Zeit hat sich meine Frau scheiden lassen. Ich heiratete wieder in 1948 und habe zwei Kinder von dieser Ehe und zwei Enkel.

Nach meiner Dienstentlassung im Sommer 1946 begann ich meine Stellung in New York, mit eine Firma die Büromöbel fabrizierte und in 1949 in die Kleinstadt York übersiedelte. 1975 habe ich mich als Manager von der Firma getrennt und meine eigene Geschäftsberatungsfirma gegründet, von der ich im Jahre 1982 in Pension ging.

Meine erste Rückkehr nach Wien war im Jahre 1958, dann 1974, 1979 und von dann an habe ich fast jährlich meine Familie dort besucht. Meine erste Rückkehr in 1958 war natürlich dramatisch, weil ich endlich meine Schwester und meinen Schwager nach zwanzig Jahren wiedersehen konnte, das erste Mal das Grab meines Vaters besuchte und die wenigen Verwandten treffen konnte, die wieder in Wien nach der Auswanderung dort Aufenthalt nehmen wollten. Leider war das 14 Familienmitglieder verneint, die in Vernichtungslagern umgekommen sind.

Der Flugplatz war damals nur eine primitive Holzhütte obwohl man schon sehen konnte, daß in nicht zu langer Zeit ein moderner Flughafen sich entwickeln wird. Der meiste Bombenschaden war schon wieder hergestellt und die Stadt sah wieder so wie einstmal aus. Natürlich, viele Geschäfte hatten sich geändert aber beim Demel konnte man sich noch immer an einen Indianerkrapfen ergötzen. Ich besuchte auch Retz, die Geburtsstadt meiner Mutter, wo mein Onkel nach seiner Rückkehr vom Konzentrationslager in Theresienstadt, das fast 100 jährige Familiengeschäft wieder aufgebaut hat.

Ich besuchte meine alte Schule in der Astgasse und fand nur einen der Lehrer die zu meiner Zeit unterrichteten, an. Er hat sich sogar an mich erinnert. Ich ging auch zur alten Familien Wohnung in der Bossigasse aber die derzeitige Inhaberin hat mich brüsk abgewiesen und darauf bestanden, daß sie die Möbel von meiner Mutter gekauft hat und alles ihr legal zugekommen ist. Zu dieser Zeit hat niemand von einer Wiedergutmachung gesprochen und mein kurzer Aufenthalt hat mir nicht erlaubt mich für mein Recht einzusetzen. Leider wollte meine Schwester sich an dieser Sache nicht beteiligen weil sie darauf bestand, daß man nach zwanzig Jahren das am besten lässt. Ich traf mich mit einem alten Schulkollegen, der Halbjude war und die Nazizeit überstanden hatte. Leider dauerte es 16 Jahre bis ich wieder Wien besuchen konnte.

Der Tempel in der Eitelbergergasse

Der Tempel hatte einen Vorgänger. Es war ein Bethaus in einem Eckladen in der Hadikgasase. Ich weiss nicht den Namen der Eckstraße aber es ist jetzt dort ein Hühneraugenoperateur, dessen Dienst ich vor mehreren Jahren, während eines Wiener Besuches, benützen musste. Dieses Bethaus wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet und mein Großvater (mütterlicher Seite) Jakob König war einer der Gründer. In diesem Bethaus und später im neuen Tempel hat der Rabbiner Moritz Lewin die Mitglieder im Gottesdienst geführt.

Rabbiner Lewin kam von Nickolsburg und hat, ausser seiner Rabbinischen Verpflichtigungen, auch nachmittags die Religionsklassen in den Hietzinger Mittelschulen geleitet. Er hat in einem Haus in der Pentzingerstraße gewohnt. Seine Familie bestand aus: Sohn Otto, Diplomingenieur und Doktor Politischer Wissenschaften hat eine Ofen Fabrik gehabt. Er wurde an der Kristallnacht verhafted, landete in Dachau und fand zuerst seinen Weg nach England in ein Flüchtlingslager bis er schliesslich in 1940 in New York ankam. Er war verheiratet und hatte zwei kinder, Sohn Donald und Tochter Naomi. Er wurde Fabriksleiter einer Büromöbelfabrik die in Brooklyn, NY began und im Jahre 1949 nach York, Pennsylvania übersiedelte. Er ging in den Ruhestand in 1969 und starb in 1984.

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Vertrieben aus Hietzing

Manfred Reiss

Der Familie Reiss gehörte das Hotel Hietzinger Hof. Beide Eltern von Sohn Manfred wurden im KZ Ausschwitz ermordet.

Mein Vater Salomon Reiss wohnte mit uns allen im Hotel Hietzingerhof, Wien 13 Hietzinger Hauptstraße 22. Unsere Eltern wurden im Jahre 1943 von Theresienstadt ins Konzentrationslager Auschwitz gesendet, von wo sie nicht mehr zurückkamen. Wir lebten im Hotel, ein Komplex von ungefähr 50 Zimmern, Kaffeehaus und Kino, welches meinen Eltern gehörte. Wir sind drei Geschwister. Mein Bruder Professor Max Reiss ging ins Technikum Wien, meine Schwester Klari und ich waren Schüler im Chapes Gymnasium Wien 2 und später Wien 20.

Wir waren eine fromme Familie und waren jeden Samstag und Feiertage in der Synagoge Eitelbergergasse. Nach dem „Anschluss“ im Jahre 1938 wurde mein Vater sofort festgenommen und war einige Moante verhaftet. Im Hotel, Cafe und Kino wurde das SS-Kommando Abschnitt 31 einquartiert und wir, meine Mutter und wir Kinder mussten im Laufe von 24 Stunden unsere Wohnung im Hotel verlassen. Jeder von uns durfte einen Koffer mit sich nehmen, welcher unter SS-Aufsicht gepackt wurde.

Die SS-Einheit war aus Österreichern gebildet worden, welche ihr Training in München bekamen. Alle Schmuckstücke wurden uns weggenommen, so wie Geld. Unser Glück war, dass mein Sparbuch in der Post nicht gefunden wurde und von dem lebten wir. Wir mieteten die Wohnung in der Maxingstraße und als mein Vater aus der Haft befreit wurde, flüchteten wir ohne Besitz mit Papieren als Sudetendeutsche in der Nähe von Reichenberg in der Tschechoslowakei. Wir alle haben keine Bilder oder etwas als Andenken von Wien. Mein Bruder lernte im Technikum Haifa, meine Schwester lebt in England und ich in Israel.

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Vertrieben aus Hietzing

Harry Weiss

Harry Weiss wuchs in der Lainzer Strasse 16 auf und besuchte die Volksschule Am Platz und später die Fichtnergasse. Er flüchtete in die USA.

Ich wurde am 11.5.1921 geboren und habe von 1922/23 auf der Lainzerstraße 16 gewohnt, eine Nobelwohnung, die den gesamten 2. Stock einnahm. Ich besuchte die Volksschule Am Platz, dann die 1.-4. Klasse des Gymnasiums Fichtnergasse und obwohl für mich die humanistische Ausbildung ein Ideal war, beschlossen meine Eltern, daß ich in die Bundes Lehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie,Wien V. Spengergasse 20, Höhere 4-jährige Abtlg., eintreten soll – von der ich dann, wie alle meine jüdischen (nein „mosaischen“) Klassenkollegen am 2. Schultag nach dem „Anschluss“ entfernt wurde.

Über mein persönliches Schicksal will ich in diesem Brief nicht eingehen, doch war diese Periode, die ich allein und nur durch viel Glück überstehen konnte, so traumatisch, dass sie den Rest meines Lebens, praktisch täglich beeinflusst. Dass ich dennoch, vollkommen allein, ohne Matura, in USA ein erfolgreiches Leben aufbauen konnte und heute noch als Arbitrator/Mediator hochaktiv bin, verdanke ich wohl meinen Vorfahren, aber auch z.T. der guten, recht kurzen Schulausbildung. Was Sie persönlich interessieren mag ist, dass ich bis heute Freunde, mit denen ich als Kleinkind in Schönbrunn in der „Lichten Allee“ spielte, mit denen ich in die Volksschule ging, oder die ersten 4 Jahre in der Fichtnergasse verbrachte, so weit diese am Leben sind, in engem Kontakt stehe und das unsere Gefühle über die Vergangenheit recht analog liegen.

Gerade diese Enttäuschung, über Nacht von einem stolzen Österreicher zu einem ……………… degradiert zu werden, den kein Land der Welt freiwillig aufnehmen will oder Asyl gibt – die Hoffnungslosigkeit dieser Zeit, scheint mir zu fehlen.

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Vertrieben aus Hietzing

Gerda Schulmann

Gerda Schulmann machte ihr Doktorat in Rechtswissenschaften in Wien. Ihre Familie floh letztendlich in die Vereinigten Staaten.

Mein erster Besuch in Wien 1961 war sehr unerfreulich, da die meisten Menschen denen ich begegnete nur über ihr eigenes Leiden durch den Krieg und der dann Sowjetunion sprechen konnten und nicht freundlich den früheren Residenz gegenüber waren. Ich bin erleichtert, dass die nächste Generation und jüngere Leute ein wenig verstehen, was ihre Grosseltern direkt oder indirekt verbrochen haben.

Ich hörte auch, dass der Hietzinger Tempel zerstört wurde. Ich war 10 Jahre, als meine Eltern eine Villa in Hietzing kauften und bis zur Flucht 10 Tage nach dem Einmarsch Hitlers bewohnten. Vorher lebten wir im dritten Bezirk. Meine ältere Schwester Lily und ich gingen aber in die Schwarzwaldschule und haben deshalb nicht das Hietzinger Gymnasium besucht. 

Bei meinem Besuch im August war mein Enkel sehr beeindruckt, zu sehen, in welcher Umgebung ich aufgewachsen bin. Ich habe natürlich gemischte Gefühle wenn ich „unser“ Haus sehe, das sofort wie auch meines Vaters Firma ariesiert und von Ariern übernommen wurde. Als meine Schwester vor einigen Jahren hinkam und läutete, wurde sie sehr unfreundlich von den jetzigen Einwohnern empfangen, obwohl sie nichts von ihnen wollte, als ihre Kindheitserinnerungen zu erneuern. Ich habe natürlich nicht angeläutet, aber wir haben Fotos gemacht.

Da ich nach dem Gymnasium auf die Universität ging und 2 Monate bevor Hitler einmarschierte, mein Doktorat als Dr. Juris machte, verbrachte ich nie viel Zeit in Hietzing und die meisten meiner Freunde waren von der „Stadt“. Meine Schwester, die sehr jung heiratete und ihre Babys in unserem Haus hatte war mit vielen Hietzingern sehr verbunden und ich erinnere mich, dass ich jeden Sonntag mit den Zwillingen nach Schönbrunn ging und ihnen Luftballons kaufte.

Unsere Familie, im Kontrast der meisten anderen, war sehr glücklich. Meine Mutter, die die Gefahr einschätzte, bewegte erst meinen Vater und innerhalb der zweiten Woche aus zu fliehen. Wir liessen alles zurück- Fotos, meine geliebten Bücher etc. und warteten bis sich 13 Mitglieder unserer Familie in Triest, wo mein Vater geschäftliche Verbindungen hatte, einfanden. Fast alles liessen wir zurück, da wir mit Recht Angst hatten, dass Hausgehilfen und Hausmeister nicht auf unserer Seite waren. Es war also, ob das ganze von mir damals so geliebte Wien sich gegen uns wendete.

Meine Familie emigrierte nach Argentinien und ich ging mit meinem Verlobten, der ein Holländer war, erst nach Holland und dann auf Bewegen meiner Mutter, die den Krieg voraussah, nahmen wir das letzte Schiff in die Vereinigten Staaten. Dort studierte ich wieder – diesmal Sozialarbeit und bekam ein lebenslanger „Therapist“. Ich arbeite noch immer in private practise und werde die Generosität der Amerikaner, einer jungen Studentin gegenüber nie vergessen. Später kamen meine Eltern und viele Mitglieder meiner Familie in die USA.

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Vertrieben aus Hietzing

Susanne Wright

Susanne Wright (geb. Friedländer) wuchs in Hietzing auf. Ihr Vater und dessen Brüder wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Ich bin in Hietzing (vor dem Krieg) und Penzing (1939-1946) aufgewachsen und habe das Gymnasium in der Wenzgasse besucht (nach 1945). Mein Vater Dr. Peter Friedländer war Jude. Er und seine beiden Brüder wurden 1942 ermordet. Eine Schwester hat in den USA überlebt. Meine Tochter ist auch eine Historikerin und hat ihre Forschung für Dissertation im „Jewish Holocaust Museum and Research Centre“ in Melbourne unternommen. Zur Zeit arbeitet sie an einem Projekt das Geschichten unserer Museumsführer (alle Überlebenden des Holocaust) auf Video aufnimmt um es in Zukunft in der Erziehung junger Leute zu verwenden. 

Ich arbeite auch, unbezahlt, im Museum als „Schools Program Coordinator“. Das Museum hat jedes Jahr über 16,000 Schulkinder als Besucher. Unser Museum, das vor 18 Jahren von Überlebenden, meist aus Polen, gegründet wurde, hat keine Information über Österreich ausgestellt. Es würde uns sehr interessieren, Kontakte mit Leuten aufzunehmen, die unserem Museum helfen könnten Photos etc. zu erwerben. Der Direktor des Museums, Schmuel Rosenkranz, stammt selbst aus Wien. Meine Tochter spricht leider nicht Deutsch. Ich habe auch einen Halbbruder in Wien, der älter ist als ich und sich mehr an die Vorkriegszeit erinnert.

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Vertrieben aus Hietzing

Dorit Woolf

Dorit Woolf wuchs in der Elßlergasse 26 und hat viele Erinnerungen an ihre eigene und andere Familien.

14 Jahre Hietzing

Ich habe 14 Jahre in Hietzing gelebt (Elßlergasse 26, Tür 10) und musste mit meinen Eltern fliehen. Wir hatten Glück, denn meine Mutter Maggie Schwarz war in Amerika geboren, und ihre Verwandten in Amerika schickten uns ein Offidavid – eine Garantie, sodaß wir auswandern konnten. Wir ließen alle Möbel, Mäntel und Kleider in den Kästen, meine Mutti hatte eine große Tasche, so wie eine Arzttasche damals, und ich hatte meine Schultasche am Rücken mit nur Pyjamas, meine Puppe und Unterwäsche zum wechseln. Ein Taxi war bestellt (sehr ungewöhnlich) und mein kleiner Freund Franzl Bäuml (Halbjude), der im 1. Stock meines Hauses wohnte, kam auf seinem Rad vorbei „Wohin geht ihr denn?“. „Zum Zahnarzt“ (der in der Inneren Stadt war). Unsere Visa nach Amerika kamen nicht nach. Meine 17 Jahre alte Schwester arbeitete als Kindermädchen in England bei einer Cousine der Königin. Die verschaffte für Mutti und mich ein Visa nach England für „Cook and child“. Wir hatten Angst zu bleiben und aufs Offidavid zu warten. Mein Vater Alexander Schwarz musste bleiben, denn zu dieser Zeit ließ England keine Männer herein, nur zur Durchreise, denn es war dort Arbeitslosigkeit.

Angst um den Vater

Wir hatten Angst um unseren meinen Vater, der jeden Tag mit dem 58er in die Stadt fahren musste, um die Dokumente zu bekommen, die er haben musste zum Auswandern (zum Beispiel, dass er keine Steuern schuldet, etc.). Da waren oft viele Männer (Juden) bei dem Amt angestellt, und die Nazis kamen mit offenen Lastwagen, nahmen alle Männer ins KZ. Mein Vater ist einmal abgesprungen und da er die Durchhäuser von Wien gut kannte, ist er davon gekommen (Die Nazis liefen durch einen anderen Ausgang). Die Angst war immer mit uns. Unser Haus, Elßlergasse 26, hatte einen hübschen Vorgarten mit Dahlien und anderen Blumen, die der Herr Brazda (Hauswart) pflanzte. Der Herr Brazda wurde nach Deutschland geschickt, Straßen bauen und der Vorgarten bekam Unkraut. Das Haus hatte einen Zaun und eine Holztüre. Eines Nachts hörte ich im Schlaf den bekannten Ton den die Tür machte. Dann war pumpern an unserer Eingangstür.

Meine Eltern im Schlafrock, ganz entsetzt, ein Nazi in Uniform mit einer Frau die vor längerer Zeit bei uns Bedienerin war und beim Frühjahrsputz gründlich machen und unserer Köchin Marie Aichinger helfen sollte. Sie war aber betrunken damals und als sie das Kristall aus einem Küchenschrank hätte nehmen sollen, zog sie den ganzen Aufsatz auf sich herunter und zerbrach Kristall für 24 Personen! Also meine Mutter hatte ihr gekündigt. Meine Mutti hatte die schönsten Schlafzimmermöbel, denn mein Vater war im Holzgeschäft, suchte das feinste Holz aus und hat die Möbel damit machen lassen. Die hatten der Bedienerin gefallen. So kam sie mit ihrem SS-Boyfriend mitten in der Nacht mit einem Lastwagen und noch zwei Pucher, und sie schleppten die Schlafzimmermöbel weg. Es war fürchterlich und sie drohten uns mit grässlichen Sachen, falls wir davon reden würden.

Meine Mutter hat eine Holzkiste packen lassen. Sie nahm einige Bilder, die sie als Hochzeitsgeschenk in 1914 bekam. All die Bilder, die mit Wien zu tun hatten (ein Bild vom Naschmarkt, eines vom Hietzinger Platz in 1830, das hat mir besonders leid getan, denn ich bin in die Volksschule am Hietzinger Platz von 1930-1934 gegangen) die wurden alle herausgenommen und nur unwichtige Bilder kamen an. Nun will ich Ihnen über meine Schulfreunde erzählen. Vis-a-vis von meinem Haus war eine schöne Villa. Die gehörte der jüdischen Familie Spielmann. Gustl war in meiner Volksschulklasse, seine 2 Schwestern waren älter (Maya und Eva). Wo sind die plötzlich verschwunden? (In 1938). Zwei Häuser weiter auf der Neuen-Welt-Gasse lebte Henny Brummer. Von der hab ich nie wieder gehört. Sie war Jüdin. Noch weiter an der Neuen-Welt-Gasse in die Hietzinger Hauptstraße. Dort wohnte ein bekannter Musikant (jüdisch Dr. Heim). Da schleppte ich meinen Holzkasten mit der Violine zu ihm und er gab mir Violinunterricht. Auf der Neuen-Welt-Gasse war auch unser Arzt Medizinalrat Dr. Fleischer. Ein wunderbarer Mann, den alle Kunden liebten. Er ist auch verschwunden.

Familie Behr

Auf der Wenzgasse lebten Freunde meiner Eltern, die Familie Behr. Die jüngste Tochter hatte einen Buckel und ist bald verschwunden. Auf Elßlergasse 6 (oder 9) lebten die jüdische Familie Löwenthal. Ilse war in meiner Klasse in der Volksschule. Zuerst wohnten sie in einer Wohnung vis-a-vis vom Haus, und dort war nur ein Obstgarten. Die Löwenthals kauften das Land und bauten ein wunderschönes Haus. Ich war oft dort mit Ilse spielen. Während des Schuljahrs gab der Oberlehrer Albert Mender Nachhilfe in Mathematik bei der Ilse am Nachmittag. Zu Mittag war immer ein langer Tisch im Garten bei der Küche aufgedeckt und alte Männer kamen jeden Tag und aßen Suppe und Brot. Die Löwenthals waren große „Philantropisten“. Die flohen nach CSR, dann kam ein Brief heraus geschmuggelt aus Theresienstadt, dann nichts mehr.

Zuletzt im Jahr 1989 (bin nicht sicher welches Jahr) wohnte Peter Reuschel und Frau dort. Peter war mein Jugendfreund bis ich 7 Jahre alt war. Er hatte die Wohnung vis-a-vis im 2. Stock, Elßlergasse 26. Seine Mutter war Jüdin, sein Vater Christ. Die haben die Schuhe und Handtasche beim Donaukanal hingestellt und sagten, die Mutter hat sich umgebracht. Da wurde der Donaukanal ausgeleert (wie sagt man das auf Deutsch. Auf Englisch: they dredged the Donaukanal), fanden aber die Mutti nie. Die war bei Bauern für viel Geld versteckt. Einmal versteckte sie sich (sie war sehr klein) unter einer dicken Daunendecke und die Nazis mit Bayonett stachen viele Male um sie herum, ohne sie zu ertappen. Das passierte auch einer Cousine von mir, die in einem Heumännchen versteckt war, das der Nazi genau so mit Bayonett stach. Sie wurde damals nicht gefunden. Also mein Freund Peter ist nach Schweden geflohen.

Ich

Ich war in der 4. Klasse Frauen-Oberschule in der Wenzgasse, 13 ½ Jahre alt, als ich zuletzt Deutsch schreiben lernte. Seither bin ich Hochschullehrerin geworden, unterrichtete „Art“ (Malen, Zeichnen, Kunstgeschichte, 2 und 3- dimensionales Entwerfen, etc. etc. Das tat ich 24 Jahre. Ich bin jetzt zurückgezogen, 78 Jahre alt, verlor meinen Mann (ein Wiener auch) nach 52 Ehejahren. Ich habe 2 Söhne und 3 Enkerl, die mich beschäftigen. Aber all die Jahre spreche ich nur Englisch. Meine Söhne, hier in New York geboren, sprechen besser Deutsch als ich, auch spanisch und französisch. Also entschuldigen sie mein Deutsch.

Familie Herlinger

In meinem Haus lebten auch die Herlinger. Liesl war eine Freundin meiner Schwester Peggy. Die lebt in Hollywood. Was mit der jüdischen Familie geschah, weiß ich nicht. Unter uns war eine Familie Kalmar. Er war blind. Die Tochter Lilly ging nach England, wo sie bald an Brustkrebs starb. Da gab es auch eine jüdische Familie Brettisch. Der Sohn sammelte Schmetterlinge. Die Tochter war etwas älter als ich. Was geschah mit denen? Franz Bäuml´s Vater hatte eine Meerschaumpfeifenfabrik. Seine Frau war Christin. Die kamen zu uns in New York zum Abendessen in 1942. Ihr Sohn ist mit den Kindertransporten nach England. Auch mein Mann Leopold Woolf kam so nach England in 1939. Er war damals 15 Jahre alt.

Im ersten Stock wohnte ein netter Herr Dr. Reiss, auch der ging weg, wohin weiß ich nicht. Mein Sohn Matthew hat auf der Universität Wien Sommerkurse studiert. Wir haben ihn in Wien getroffen. Er wollte unbedingt meine alte Wohnung (Tür 10) sehen. Wir gingen zum Haus, aber kannten keine Namen, die angeschrieben waren. Da kam eine Dame aus der kleinen Garage und fragten, ob sie uns helfen kann. Ich erklärte, dass ich hier 14 Jahre lebte und mein Sohn die Wohnung sehen möchte. Sie fragte mich, welche Wohnung, ich zeigte auf die Fenster und es war jetzt ihre Wohnung. So gingen wir hinauf, das Haus schäbiger als zu meiner Kindheit. Es gehört der Technik und die geben scheinbar kein Geld aus, es zu verbessern. Also wir waren Gäste von Dr. und Frau Magdalena Hawlik. Die gaben ein großes Abendessen für uns, wo alle möglichen jüdischen Bekannten eingeladen waren und wir waren so 20 in unserem alten Speisezimmer. Frau Hawlik sagte uns, dass unsere Möbel von der deutschen Familie, die vor ihr dort wohnte, nach Deutschland geschickt wurden. Wir bekamen gute Freunde von den netten Hawliks und Frau Hawlik verbrachte einige schöne Wochen bei uns in Scarsdale, New York. Wir korrespondieren noch immer.

Stammbuch

Jetzt blätter ich durch mein Stammbuch (hab es seit der Volksschule) und sehe die Namen all meiner Schulfreundinnen, die nicht mehr leben oder verkommen sind. Meine beste Freundin war Ursula Schidrowitz. Die hatte ein schönes Biedermeyerhaus, vis-a-vis dem Ausgang vom Maxingpark, ich glaub es war Maxingstraße 46. Ihr Vater war jüdisch, Redakteur, Mutter Christin Martha Wagner, Schwester der berühmten Burgtheater-Schauspielerin Erika von Wagner. Die Schidrowitz flüchteten nach Brasilien, wir korrespondierten 30 Jahre, die Tante in die Schweiz. Ihr Mann hieß Fritz Stiedry und er wurde Dirigent der Oper in New York in 1950. Stiedrys Tochter Jessica hatte Kinderlähmung und wurde in Deutschland vergast (alle in meiner Klasse).

Herta Goldstein nach Argentinien, Lizzi Lenz, Ilse Löwenthal nach Theresienstadt. Gertrud Großmann, wohnte oben beim Schranken Kupelwiesergasse, nach Kalifornien. Eva Schwenk, Auhofstraße, nach New York. Sofie Schüler wohnte bei der Reichgasse?, Martha Palker, Marta Wachsmann, Gisi Stern, Inetta Lande, alle verschwunden. Maria Wolf und Bruder Georg, von Wenzgasse (Vater war Dr. Hugo Wolf, Rechtsanwalt und Frau Dr. Grete Wolf, Zahnärztin) sind mit Kindertransport nach England. Susi Freiberger nach New York, Trude Pulitzer und Familie – nie wieder gehört. Etta Resek und ältere Schwester in Australien, Eltern konnten nicht weg, sind umgekommen. Also, das ist alles über die jüdischen Hietzinger Kinder, die ich kannte.

Von älteren Leuten weiß ich auch viele Geschichten. Zum Beispiel: Als wir weg fuhren, konnte unsere Köchin Marie nicht bleiben. Die Frau Dr. Wolf übernahm sie. Eines Tages war sie allein zu Haus (herrliches Haus, Wenzgasse) als die Eltern des Herrn Dr. Wolf mit dem 58er aus der inneren Stadt mit einem kleinen Koffer ankamen. Der alte Dr. Wolf, damals beinahe 80 und seine ältere Frau hatten ein 4 Jahre altes Enkerl mit ihnen, die Elisabeth. Die war das Kind seines jüngeren Sohnes, der mit seiner Frau zu Fuß(!) nach Palästina flüchtete. Dieses junge Ehepaar versteckte sich bei Tag und ging zu Fuß durch Ungarn, Türkei etc. in der Nacht, kamen auch an und leben in Israel. Der alte Herr sah aus wie Einstein mit weißem Haar und war im ersten Weltkrieg Regimentsarzt in Tirol. Kaum waren sie im Haus, kam ein Lastwagen mit SS. Der Alte zog schnell seine Uniform vom ersten Weltkrieg an, mit vielen Orden auf der Brust und kam so die Stiegen herunter (von Marie nach dem Krieg erzählt).

Die SS lachte, nahm die 2 Alten und das Kind weg (sie sind in Theresienstadt umgekommen). Die Marie (die beste Person auf der Welt, war 14 Jahre bei uns, wie meine zweite Mutter) lief zur Elektrischen, um den Herrn Dr. und Frau abzufangen, denn das Haus war besetzt und eine riesige Fahne, vom Dach bis über der Eingangstür, war zu sehen. Die Wolfs kehrten nie wieder zurück ins Haus. Sie taten das selbe als das jüngere Paar und gingen zu Fuß in der Nacht bis nach Griechenland, wo sie auf einer Insel den Krieg überlebten, da sie oft dort Sommergäste waren. Also unter den „refugees“ von Hietzing gibt es hunderte solche Geschichten. Eine Kinderfreundin von mir (sie heisst Dr. Dorit Bader-Whiteman, Psychologin) schrieb ein Buch über diese Flüchtlinge und ihre Erlebnisse. Es heisst „Die Entwurzelten“, auch in Deutsch zu haben. Vielleicht würden Sie das lesen, viele Hietzinger sind darunter.

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Vertrieben aus Hietzing

F. J. Winter

F.J. Winter hat sehr negative Erinnerungen an ihre ehemaligen Nachbarn.

Mein Vater, zwei seiner Brüder und eine seiner Schwestern lebten in Hietzing. Bis März 1938 waren sie Mitbewohner Hietzings, mein Vater dort ziemlich bekannt, die man bei Spaziergängen begrüßte und mit denen dann stehen blieb und etwas schwätzte. Nach dem „Anschluss“ standen 80% der nun arischen Nachbarn am Strassenrande um dem einziehenden Hitler zuzujubeln.

Dann betätigten sich diese 80% der arischen Nachbarn, die Juden auf der Strasse zu bespucken, zu beschimpfen und sie auf den Knien die Gehsteige mit ätzender Säure waschen zu lassen. Die zwei Brüder meines Vaters wurden im April auf der Strasse aufgeklaubt und nach Dachau gebracht. Im Mai wurden sie dort getötet, ihre Frauen erfuhren das, als ein SS-Mann an die Türe kam mit den Worten „Heil Hitler! Hiermit übergebe ich ihnen die Asche ihres Mannes. Heil Hitler!„

Die Schwester meines Vaters, zusammen mit ihrem Sohn und einer anderen Schwester, die nicht in Hietzing wohnte, kamen später in Theresienstadt ums leben. Wer will sich an solche Sachen eigentlich erinnern. Wir Juden können nur weinen und ihr Nichtjuden könnt Euch nur schämen wenn Ihr solche Ausstellungen machen wollt, oder Denkmäler errichtet.

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Vertrieben aus Hietzing

Dorothea Winkler

Dorothea Winkler wuchs in der Schlossberggasse in Hacking gegenüber der Dominikanerinnen auf. Später ging sie in die Fichtnergasse.

Meine Eltern hatten das Haus in der Schlossberggasse lange vor Beginn des ersten Weltkrieges gemietet. Ich möchte besonders erwähnen, daß wir nach 1938 nicht delogiert wurden, obwohl der Zins infolge des Mieterschutzes ein verhältnismäßig niedriger war. Meine Eltern und die Schwester meiner Mutter wohnten dort bis zur Zwangsdelogierung in die Liechtensteinstraße.

An den hohen Feiertagen wurde von der jüdischen Gemeinde in einem Gasthaus in der Auhofstraße (in der Nähe der Schlossberggasse) ein Saal gemietet, wo die Feiern, die von meiner Familie besucht wurden, abgehalten wurden.

Unserem Haus gegenüber befand sich ein Kloster der Dominikanerinnen und es machte uns Kindern große Freude, die Schwestern im Wirtschaftshof zu besuchen. Sie versäumten es nie, jedem von uns Kindern zu seinem Namenstag einen Teller mit Obst und Bäckerei zu schicken, was in der Hungersnot nach dem ersten Weltkrieg eine besondere Freude für uns war.

Ich selbst wurde bis zur dritten Klasse Mittelschule zu Hause unterrichtet, da ich infolge einer Nierenkrankheit zu schwach war, die Schule zu besuchen. Dann kam ich in das humanistische Gymnasium in der Fichtnergasse, das damals zum ersten Mal ein Mädchen aufnahm. Natürlich hatte ich zuerst unter antisemitischen Angriffen zu leiden, was aber nach einem Jahr eingestellt wurde. Von den Professoren wurde nie ein Unterschied gemacht.

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Vertrieben aus Hietzing

Ernst Stricker

Ernst Stricker verließ Österreich im Juni 1939. Vorher wohnte er in der St. Veitgasse und ging in die Volksschule in der Auhofstraße.

Ich wohnte mit meiner Familie in der St. Veitgasse 4/2 bis zu unserer Abreise im Juni 1939 und besuchte die Volksschule in der Auhofstraße. Im 2. Stock unseres Hauses wohnte eine Familie Mieses, deren Vater wurde mitten in der Nacht des 9. Novembers abgeholt und nach Dachau verschleppt. Er wurde nach 6 Wochen entlassen und emigrierte sofort nach Bolivien. Nach dem Krieg kam er bald zurück und erhielt sein altes Werk wieder, das war eine Schuhfabrik namens „Eterna“. 

Eines Tages nach dem „Anschluss“ ging ich mit meiner Großmutter zu Fuß zur Stadtbahnstation Hietzing und wollte meiner Großmutter ein Eis kaufen, weil es sehr warm war. Leider war bei dem Eisgeschäft an der Türe ein Plakat „Hunden und Juden ist der Eintritt verboten“. Meine Großmutter blieb zurück, weil sie zu alt für die Emigration war. Im Jahre 1941 wurde sie abgeholt und lebte nicht mehr lange.